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Aprilia Tuareg 660 – Orientierungslauf im Modegewand

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Schonungsloser Test auf dem TET Sardinien 

Wer gerne Offroad unterwegs ist, muss in irgendeiner Weise Kompromisse eingehen zwischen den offroad-superpotenten Einzylinderbikes mit Hubräumen um 350 ccm und den ultrabequemen Reisedampfern mit über 1000 ccm und (zu) vielen Extrapfunden. Aprilia interpretiert dies auf spannende Art, denn sie sticht doch ziemlich heraus: Die Tuareg 660. Die Italiener konnten es nämlich nicht lassen und haben ihr ein modisch-extravagantes Kleid geschneidert. 

Ich gebe es ja zu, die Aprilia gefällt mir optisch sehr, jedoch ist das für mich kein Hinderungsgrund, sie auch artgerecht zu bewegen. Deshalb lade ich sie flugs auf den Töffanhänger und mache mich mit meinem langjährigen Kumpel Marc auf den Weg nach Sardinien, um unbefestigte Strassen unsicher zu machen.

 

Schon beim Aufladen fällt mir auf: So klein ist die 660-er gar nicht geworden, das ist in ihren Ausmassen ein ausgewachsenes Motorrad. Dessen ungeachtet ist es Aprilia gelungen, das Gewicht mit 204 kg vollgetankt niedrig zu halten, was sich gerade jetzt schon ein erstes mal zu meinen Gunsten manifestiert. Gleichermassen ist die Haptik sehr erfreulich, der Töff fühlt sich sehr wertig und gut verarbeitet an. Zudem schmeichelt die sichtbare Technik meinem Auge noch mehr.

Dank der gewählten Reisemethode und einer Überfahrt mit der Fähre über Nacht mit Koje kommen wir entspannt auf Sardinien an und sind schon vor dem Mittag im Hotel und bereit für die erste Ausfahrt. 

 

 

Sofort fühlt sich die Tuareg betont endurotypisch an. Die Sitzposition ist hoch, aber sehr passend. Die stehende Fahrerhaltung gelingt auf ihr zudem ohne Verrenkungen und Buckel, was ich als immensen Pluspunkt notiere. Das erleichtert das Fahren Offroad doch erheblich. Gleichermassen sind dort die 240 Millimeter Federweg vorne wie hinten ein Segen, so viel gibt es bei der Konkurrenz erstaunlich selten. Entsprechend endurotypisch ist ihr Fahrverhalten auf der Strasse mit eintauchender Gabel beim Bremsen, stoischer Ruhe bei schlechtem Asphalt und stabilem Geradeauslauf und ebensolcher Kurvenlage dank 21-Zoll Vorderrad. Allerdings eröffnet die Tuareg dank vollständig einstellbaren Federelementen vorne und hinten die Möglichkeit, ein Setup für Strassen einzustellen, welches auch Strassenfahrer glücklich macht. Das ist leider heutzutage nicht mehr überall möglich, schon gar nicht zu dem Preis. Ich belasse es beim Setup für offroad und freue mich zudem diebisch, die aufgezogenen Geländepneus Conti TKC 80 auf Schotter auszuprobieren.

Nach kurzer Fahrt über attraktive Asphaltbänder im Norden der Insel erregt eine erste Schotterstrasse unser Interesse, denn weiter unten ist das Meer zu erkennen. Wir werden belohnt: zwischen Bäumen und Sträuchern wird die Piste immer sandiger und nach kurzer Zeit schon stehen wir an einem Strand, welcher ausschliesslich über unbefestigte Strassen erreichbar ist. Entsprechend wenige andere Besucher hat es hier und wir gönnen uns ein erstes Bad. 

 

Nach der hochwillkommenen Erfrischung forschen wir weiter nach Schotterstrassen und halten uns dabei an den Trans European Trail. Schon nach kurzer Zeit fühlen die Contis wieder Erde und machen dabei einen tollen Job. Gegenüber einem üblichen 50/50 Reifen ist hier fühlbar mehr Grip vorhanden im Gelände. Genauso wie die Aprilia: Hier spielt sie ihre Qualitäten gerne gewinnbringend aus. Intuitiv und leicht lässt sie sich von mir über immer kleinere Pfade dirigieren, nimmt stets die von mir angepeilte Linie. Ihr Zweizylinder hängt dabei sehr gut am Gas und zieht auch in tieferen Drehzahlen noch mit Druck über Offroad-Hindernisse. Die gebotene Elastizität ist im Gelände hochwillkommen. Die Abstimmung des 660-er Zweizylinders ist in der Tuareg äusserst umgänglich und viel einfacher handzuhaben als in den RS- oder Tuono-Modellen. Trotzdem bleibt  die Spritzigkeit und der Unterhaltungsfaktor dieses Motors erhalten.

Im gleichen Stil geht es die nächsten Tage weiter: Bestes Endurowandern auf unbefestigten Strassen und auch engen Weglein, die Asphaltetappen beschränken sich auf die Verbindungen zwischen den fahrtechnisch und aussichtsmässig sehr attraktiven Strecken. Immer wieder passieren wir geschälte Kork-Eichen und begeisternde Wandgemälde. Weiter südlich auf der Insel stehen wir ganze drei Mal auf einem Berg und geniessen die Aussicht. Auf jedem davon ist ein Feuerwächter im Dienst welcher aufpasst und nicht angemeldete Feuer umgehend an die Kollegen weiter unten weiterleitet. 

Die Auffahrten dorthin sind nicht immer ohne, aber mit der Tuareg schaffe ich die Herausforderung jedes Mal und pflüge auch über anspruchsvolle Passagen. Die 240 mm Federweg sind wirklich ein Segen, genauso wie das sanfte Ansprechen des Motors und die im Gelände toll dosierbaren Bremsen. Die Schaltung mit optionalem Schaltautomat präsentiert sich kurz und knackig mit leicht erhöhten Schaltkräften.

Ergonomisch sinnvoll und gut verarbeitet sind die Knöpfe am Lenker. Die Bedienung des TFT Displays ist intuitiv und logisch. Und zu bedienen gibt es einiges, denn es ist das volle Ornat an elektronischen Helferlein verfügbar, da bleibt kein Auge trocken. Und das allerbeste daran: Der ausgewählte Fahrmodus bleibt nach Ausschalten der Zündung beim Neustart erhalten, auch wenn z.B. das ABS abgeschaltet wurde. 

Der im Offroadbetrieb so geschätzte schmale Sattel zeigt nach ein paar Stunden Fahrt dann trotz guter Polsterung, dass er in Sachen Komfort die Zeche für die schmale Ausführung bezahlen muss, dann beginnt nämlich der Hintern zu schmerzen.

 
 

Lukas' Fazit:

Wer der Auffassung ist, ein so extravagant gezeichneter Töff könne unmöglich im groben Gelände performen, der irrt sich gewaltig. Trotz des schönen Gewands suhlt sich die Tuareg mit Vorliebe im Dreck, macht alles mit und bügelt mit ihren langen Federwegen alles aus dem Weg, was sich bis mittelhoher Schwierigkeit so auf Naturstrassen und Single Trails findet. Sie ist ganz klar stärker für den Offroad-Einsatz positioniert als die meisten Konkurentinnen in dieser Klasse und macht dort ihre Fahrer glücklich. Dank der einstellbaren Federelemente bleiben die Einbussen im Fahrverhalten auf Asphalt sehr überschaubar. 

 

Lukas mit der Aprilia Tuareg 660 auf dem TET Sardinien