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Zwei oder drei Räder, das ist hier die Frage

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Fahrbericht Yamaha Niken GT von Reto & Thomas

Heutzutage werden wir in der Motorrad-Branche nur noch selten mit wirklich innovativen Konzepten konfrontiert. Ein kleines Facelift da, etwas mehr Hubraum hier und wenn mal eine grosse Präsentation ansteht, dreht es sich meistens um ein neues oder verbessertes Elektroniksystem, welches zwar auch seine Vorteile bietet, sich in der Regel jedoch kaum auf das Fahrerlebnis auswirkt.

Entsprechend gross war die Vorfreude auf den Test der Yamaha Niken GT. Endlich getraut sich mal wieder ein Hersteller, eine wirkliche Innovation auf den Markt zu bringen.

 

Eigenwilliges Design

Dass ein zweites Vorderrad automatisch zu einer recht eigenwilligen Optik führt, sollte jedem klar sein. Trotzdem ist es den Yamaha-Designern gelungen, das Dreirad-Konzept in das klassische Marken-Design zu integrieren. Obwohl die Niken eine eigene Modellbezeichnung trägt, fügt sie sich gut in die MT- bzw. Tracer-Familie ein und ist auf den ersten Blick als Yamaha erkennbar.

Genau wie das Design ist auch die Qualitätsanmutung des Bikes auf gewohnt hohem Niveau. Einzig die aufgesetzt wirkende Aufnahme des Zündschlosses und das darunter freiliegende Kabelwirrwarr trübt etwas die Aussicht auf die sauber verarbeiteten und gut ablesbaren Armaturen der Niken.
 

Wie fährt dem?

Auf unseren Touren wurden wir oft auf das eigenwillige Fahrwerk der Niken angesprochen. Was zu vielen angeregten Diskussionen und auch zu witzigen Begegnungen führten. Die kürzeste, wenn auch sehr prägnante Frage stellte uns ein junger Mann, unbekannter Herkunft, im Stau aus seinem BMW M3 heraus: „He Mann, wie fährt dem?“. Da wir in diesem Moment nicht so ausführlich auf die Frage antworten konnten, holen wir dies an dieser Stelle gerne nach.

Eins vorweg: Das Niken-Fahrwerk erlaubt einen Neigungswinkel bis 45 Grad. Demzufolge setzen, wie bei jedem anderen Bike, die Fussrasten die Grenze für die maximale Schräglage. Dadurch fährt sich die Niken eigentlich wie jedes konventionelle Bike auf zwei Rädern.

Bei sehr langsamer Fahrt spürt man die zusätzliche Stabilität durch das zweite Rad deutlich. Doch sobald die Niken etwas Fahrt aufgenommen hat, ist die Neigetechnik, abgesehen von einer leicht erhöhten Trägheit, kaum noch spürbar, hat aber entscheidende Vorteile.

Das zusätzliche Gewicht an der Front verhindert das Aufsteigen des Vorderrads. Dadurch kann man voll durchbeschleunigen und bringt die 125 PS des aus der MT- und Tracer 900 bekannten Dreizylinders stets zuverlässig auf die Strasse.

Das wichtigste Merkmal ist jedoch der erhöhte Grip am Vorderrad, bzw. den Vorderrädern. Egal ob man auf nasser Strasse bremsen oder auf schlechtem Belag mit viel Elan in die Kurve stechen will - die Niken macht alles mit und hält die Spur, als würde sie auf Schienen laufen.
Unter schwierigen Bedingungen ist das zweite Vorderrad ein klares Sicherheitsplus und ein Garant für Fahrspass in Bereichen, in denen das klassische Zweirad an seine Grenzen stösst.

Die Yamaha Niken GT ist dadurch eine zuverlässige Reisebegleiterin für Tourenfahrer die Wert auf hohe Sicherheit legen und regelmässig auf etwas schlechteren Strassen unterwegs sind.
 
 

GT - bereit für die Grosse Tour

Zusätzlich zur klassischen Niken bietet die Yamaha Niken GT einen höheren Windschild, beheizbare Griffe, einen Komfortsitz und dank den Seitenkoffern auch viel Platz für Gepäck. Das attraktive Paket wird mit einem Hauptständer und zwei 12-Volt Steckdosen abgerundet. Für 1000 Franken Aufpreis ein Upgrade, das wir auf jeden Fall empfehlen.

Ein spezielles Konzept erfordert einen speziellen Testfahrer

Für diesen Fahrbericht haben wir uns Verstärkung geholt. Thomas bestreitet in diesem Jahr seine erste Töffsaison. Wir haben ihn jedoch nicht ausgewählt, weil er ein Neueinsteiger ist. Die Yamaha Niken ist bestimmt kein klassisches Einsteiger-Bike. Wir wollten jedoch die Meinung von jemandem abbilden, der noch unvoreingenommen ist.

Die moto-lifestyle-Redaktion besteht aus eingefleischten Zweirad-Freaks, die schwierig von einem neuen Konzept zu überzeugen sind. Thomas hingegen ist neu in der Zweirad-Welt und trotzdem eine angesehene Fachkraft, wenn es um Fahrzeugtechnik geht. Als Inhaber der Carrosserie Marty AG verfügt er über rund 30 Jahre Berufserfahrung in der Fahrzeug-Branche und ist somit der ideale Kandidat, um diesen Fahrbericht mit einem zweiten, objektiven Fazit zu ergänzen.

"Für Biker die regelmässig mit Sozius und Gepäck unterwegs sind, ist das Sicherheitsplus, welches die Yamaha Niken unbestritten bietet, ein klares Kaufargument."

Retos Fazit:

In diesem speziellen Fall bin ich völlig hin- und hergerissen. Einerseits begeistert mich die neue Technik der Yamaha Niken und ich habe grossen Respekt vor dem Mut, den Yamaha mit dem Entscheid zur Serienproduktion der Niken bewiesen hat.

Ausserdem hat die Niken ganz klare Vorteile. Ich habe sie unter anderem durchs Centovalli gejagt, wo der Strassenbelag, besonders auf der italienischen Seite, teilweise in katastrophalem Zustand ist. Ich habe diese kurvenreiche Strecke noch nie so schnell zurückgelegt und hatte dabei auch richtig viel Spass mit der dreirädrigen Yamaha.

Thomas Fazit:

Da die Ausfahrt mit der Niken mein erster Berührungspunkt mit der Marke Yamaha war, ist mir als erstes die einwandfrei funktionierende Technik aufgefallen. Das Getriebe schaltet butterweich, die Bremsen lassen sich wunderbar dosieren und auch die Gasannahme ist ausgesprochen angenehm.

Über das unkonventionelle Dreirad-Konzept kann ich nur positives berichten. Nachdem man sich an die etwas höhere Fahrzeugbreite gewöhnt hat, fällt das zweite Vorderrad kaum noch auf. Die Yamaha Niken GT lässt sich ganz normal, wie jedes andere Motorrad, bewegen.
Jedoch sehe ich unter normalen Umständen nur wenig nennenswerte Pluspunkte für das Dreirad-Konzept. Auf guten, trockenen Strassen reicht mir der Grip an einem Vorderrad völlig aus. Zudem vermisse ich bei der Niken das Gefühl der Leichtigkeit an der Front, was für mich bei sportlichen Fahrten einfach zum Töfffahren dazugehört.

Würde ich jedoch regelmässig mit Sozius und Gepäck fahren, wäre das Sicherheitsplus, welches die Yamaha Niken unbestritten bietet, ein klares Kaufargument. Da ich jedoch meist ohne Sozius unterwegs bin, wäre ich eher für die Tracer 900 GT zu begeistern, welche abgesehen vom zweiten Vorderrad, alle Vorteile der Niken bietet und nebenbei bemerkt noch deutlich günstiger ist.
Trotzdem vermittelt sie einem ein tolles Sicherheitsgefühl. Egal ob bei langsamen Fahrten, beim Rangieren oder in zügigen Kurven auf der Landstrasse. Auf der Niken fühlt ist man stets Herr der Lage und kann jederzeit auf unerwartete Situationen reagieren, ohne gleich Gefühl das zu haben, an die Grenzen des Fahrwerks zu stossen.

Ich habe die Ausfahrt mit der Yamaha Niken GT sehr genossen und fühlte mich auf ihr auch schnell heimisch. Das neue, unkonventionelle Konzept ist auf jeden Fall einen Blick, bzw. eine Probefahrt wert.