Neues Equipment für unseren Motorrad-Urlaub
15. September 2020Die Männertour
23. September 2020Ein Fahrbericht von Reto
Die Yamaha Tracer 700 hat keinen leichten Stand. Der Sporttouring-Markt ist hart umkämpft. Mittlerweile hat fast jeder Hersteller ein vergleichbares Modell im Angebot. Zudem buhlt ihre grosse Schwester, die Tracer 900 GT, um die Gunst der zahlungskräftigen Schweizer Kundschaft. Für gut 3000 Franken bekommt der 900 GT Käufer nicht nur mehr Leistung, sondern auch ein besser ausgestattetes und dank dem serienmässigen Gepäcksystem, ein ab Werk bereits voll reisetaugliches Motorrad.Da stellt sich natürlich die Frage, ob es sich tatsächlich noch lohnt, das „Einsteigermodell“ zu kaufen oder ob man mit der 900er auf mittlere bis lange Sicht nicht besser beraten ist?
Ein neues Gesicht
Das auffälligste Merkmal der 2020er Tracer 700 ist die neue Frontverkleidung. Das von der Yamaha R1 abgekupferte Gesicht, mit LED-Doppelschweinwerfer und -Positionsleuchten, steht der Sporttourerin richtig gut und verleiht ihr einen einzigartigen, unverkennbaren Auftritt.Besonders in den Farben Icon Grey und Phantom Blue, in denen die Linien der Front augenfällig in die Handguards übergehen, wirkt die Tracer 700 sehr dynamisch. In puncto Design ist Yamaha hier ein wirklich grosser Wurf gelungen.
Gute Chancen auf eine Liebesbeziehung
Maximaler Fahrspass trotz Alltagstauglichkeit - das war schon immer der Kern der Yamaha Tracer 700, der sich unter der neuen Schale nicht verändert hat. Der aus der MT-07 stammende Zweizylinder leistet 54 kW (73 PS) und stemmt 68 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle. Im Fahrbetrieb wirkt der Motor sogar noch etwas kräftiger und hat mit der leichtfüssigen Sporttourerin (196 Kilogramm fahrbereit) leichtes Spiel.Besonders auf Passstrassen mit vielen engen Kurven wie z.B. auf der Ibergeregg, der Sattelegg oder auf dem Klausenpass anzutreffen sind, entfaltet die Tracer 700 ihr volles Potential. Obwohl oder grade weil sie sich viel mehr wie ein Naked-Bike als Tourenmotorrad anfühlt, lässt sie sich dank der etwas höheren und sehr aufrechten Sitzposition spielend leicht durch Spitzkehren dirigieren. Wer gerne auf diesen oder ähnlichen Strecken unterwegs ist und sich nicht den Hintern auf einer Supermoto wund sitzen will, hat gute Chancen auf eine Liebesbeziehung mit der sportlichen Japanerin.
Auch was Fahrwerk und Bremsen betrifft, zeigt die Tracer 700 keine nennenswerten Schwächen. Gabel und Federbein sind zwar verhältnismässig weich abgestimmt, passen jedoch gut zur Charakteristik des Bikes und bügeln Unebenheiten in der Fahrbahn zuverlässig glatt. Gleiches gilt auch für die Bremsen, welche auch auf sportlichen Passfahrten immer gut dosierbar bleiben und zuverlässig verzögern.
Yamaha Tracer 700 - auch bereit für die grosse Tour?
Wer die Yamaha Tracer 700 ausserhalb des Tagestourenradius bewegen möchte, sollte noch etwas ins Zubehörregal greifen und sich mindestens die beiden Seitenkoffer dazu bestellen. Damit verringert sich der Aufpreis zur grösseren Schwester, der Tracer 900 GT, nochmal um rund 1000 Franken. Was einem wiederum die Frage nach der besseren Wahl aufdrängt.Doch eigentlich ist der Preis, bei einem Kaufentscheid zwischen diesen beiden Bikes, völlig irrelevant. Das Einsatzgebiet ist in diesem Fall das sprichwörtliche Zünglein an der Waage.
Wer auf der Tracer 900 GT Platz nimmt, sitzt klar auf dem erwachseneren, bequemeren und auch langstreckentauglicheren Motorrad. In den meisten Fällen ist sie, für Bikerinnen und Biker, die oft auf ausgedehnten Touren, mit Gepäck und Soizius unterwegs sind, die bessere Wahl.
Die Tracer 700 ist entgegen der landläufigen Meinung nicht das Einsteiger-Modell. Sie ist das richtige Bike für Leute, die zum Beispiel mit dem Motorrad zur Arbeit fahren und es auf dem Heimweg noch auf der Hausstrecke richtig krachen lassen wollen. Die aber auch gerne einen Wochenendtrip mit ihr unternehmen und dabei nicht auf die dafür notwendige Tourentauglichkeit und den Komfort verzichten möchten.
Im übertragenen Sinn ist die Yamaha Tracer 700 das etwas kleinere Moltitool, das zwar ein paar Werkzeuge weniger bietet, aber in den meisten Fällen locker ausreicht und dazu noch leichter zu tragen ist.
Reto’s Fazit:
Ich war schon immer ein Fan der „kleinen Tracer“, da sie gut mit meinem persönlichen Fahrstil passt. Ich fahre mit dem Motorrad zur Arbeit, dehne den Heimweg gerne ein wenig aus und bin regelmässig auf Wochenendtrips unterwegs - perfekte Bedingungen für die Tracer 700.Ausserdem gefällt mir das neue Gesicht deutlich besser als das der Vorgängerin. Trotzdem gibt es einen Punkt, der meiner Kritik bedarf: Für meinen Geschmack besteht die Verkleidung der aktuellen Tracer 700 aus zu vielen unlackierten Kunstoffteilen. Das nagt etwas am sonst hochwertigen Gesamteindruck.
Dies ist jedoch kein Grund sich gegen einen Kauf der Tracer 700 zu entscheiden, sondern mehr eine Einladung zur Individualisierung. Die meisten Verkleidungsteile lassen sich problemlos in der heimischen Garage demontieren, ohne dass dafür grosses handwerkliches Geschick oder Spezialwerkzeug nötig ist. Ein paar Teile nach eigenem Geschmack mit Folie zu überziehen oder zu lackieren, wäre sogar ein cooles Herbst-Winter-Projekt.
Deshalb bleibt es dabei - die Yamaha Tracer 700 ist auch im neuen Gewand ein ausgezeichnetes, leichtes Tourenbike, das mit wenig Zubehör ausgestattet auch bereit für die grosse Tour ist.